Vom Kieselstein zum Kunstobjekt

Die Entwicklung der Schachfiguren

 

Wie mögen die ersten Schachfiguren bei der vermuteten 5000 jährigen Geschichte des Schachspieles wohl ausgesehen haben?

Auch hier stehen am Anfang nur archäologische Funde, die nichts als Vermutungen im Raum stehen lassen, da sie sich wissenschaftlich nicht zuordnen lassen

 

 

 

Bild 1:

 

Lustig sehen diese Spielsteine schon aus.

Diese sogenannten Brillenfiguren wurden in Mesopotamien  (Vorderasien) gefunden. Sie sind zweifarbig im Satz und haben eine Höhe von 1,2 bis 3,1 cm. 

Was denkt ihr? Gab es um ca. 3100 v.Chr. schon das Schachspiel?

 

Auch die Augenfiguren unten werden in diese Zeit hinein geschätzt.

 

 

 

Bild 2:

 

 

 

 

Weiter östlich von Mesopotamien im Industal fand man aus der Harappakultur (etwa 2500 v.Chr.) Spielsteine aus weißem und schwarzem Alabaster. Ausgesehen haben sie so:

 

 

Bild 3

Genau zwischen dem Industal und Mesopotamien wurden verschiedene Spielsteine und Würfel in Stangenform gefunden, was auf ein Vorkommen des Würfelvierschach (Tschatur-anga) schließen lässt. Das geschätzte Alter ca. 2400 – 2300 v.Chr.

Auch hier teilen sich die Geister. Einige Wissenschaftler wollen die gefundenen Spielsteine nicht in Zusammenhang mit dem Schach bringen, sind eher davon überzeugt, dass diese Figuren der Wahrsagungstechnik dienten.

Demgegenüber steht der Fund eines aus Elfenbein geschnitzten Turmes aus dem 3. Jahrtausend v. Chr.  in Ägypten

 

Bild 4:  

Sollten sich die Ägypter etwa damals schon das Märchen vom Rapunzel erzählt haben?

 

Nun aber von den Thesen (Vermutungen) zurück zu den Tatsachen:

Erste wirkliche Beweise für die Existenz des Schachspiels gehen, wie in den Erläuterungen zur Geschichte des Schach-Bretts bereits erwähnt, in die Zeit zwischen 300 und 600 unserer Zeitrechnung zurück.

 

Also beginnen wir nun mit Ur-Schach, der vierfachen Schlachtreihe, dem Tschaturanga

 

Bilder von Originalfunden aus dieser Zeit haben wir keine aufstöbern können, deswegen hier die nachgestellten Figuren aus unserem Tschaturanga.

 

Bild 5

So ungefähr müssten die Spielsteine ausgesehen haben:

Von links nach rechts:

rot             Kampfwagen/berittener Kämpfer (Pferd)

braun        Soldat(Bauer)

gelb          Boot(Läufer)

grün          König und/oder Wesir – firsan /Berater, wurde später zur Dame)

schwarz    Elefant(Turm)

 

Alice fragte, als sie in die 3. Klasse ging, während eines Wochenendseminars zur Schachgeschichte, wieso es auf dem Tschaturanga eigentlich ein Boot gibt.

Wenn wir uns Indien auf der Karte anschauen, gibt es da eine Anzahl von  Flüssen (Euphrat und Tigris z.B.) und auch den großen (indischen) Ozean. Und tatsächlich gab es Schachbretter, wo die Hälften in der Mitte mit einem aufgezeichneten Fluss getrennt wurden. Zum Beispiel gibt es ein babylonisches Spielbrett welches in der Mitte geteilt durch einen Fluss ist. Hier soll dies den Euphrat darstellen, welcher durch Babylon fließt. Die Stadt Babylon war zur damaligen Zeit sehr bekannt für eine große Menge an Kornkammern (Getreidelager) fast gleichmäßig aufgeteilt auf beide Seiten der Stadt. Aus dieser Zeit und dieser Stadt scheint auch die Geschichte der Weizenkorn-Legende zu entstammen, welche unter der Rubrik „Schach und Mathematik zu finden ist.

Wenn wir weiterhin von der Entwicklung der Figuren sprechen wollen, kommen wir nicht umhin, uns, abgesehen von der Bewegung der Spielsteine auf dem Brett, auch mit der künstlerischen Formgebung zu beschäftigen. Dieses Thema gehört aber in unser Gesamtthema Schach und Kunst, wo wir näher auf die angewandte Kunst eingehen wollen.

Da wir nun wissen, dass sich an der Aufstellung der Schach-Spielsteine seit dem persischem Zweischach nichts mehr geändert hat, möchte ich nur noch auf das Aussehen der Steine in der jeweiligen Kulturepoche eingehen.

Grob gesagt gab es an der äußeren Form seit 300 nach Christi im Wesentlichen nur 4 Entwicklungsetappen:

 

Als erstes steht die einfache Form, die deswegen wahrscheinlich so aussieht, wie sie aussieht, weil die Technik zur Herstellung von      Schachfiguren in Serie (Massenproduktion) noch nicht entwickelt war. Diese Blockfiguren konnten ohne großen Aufwand selbst       hergestellt werden. Diese Form gibt es schon seit der Zeit des Übergangs vom Tschaturanga zum Zweischach.

Grund für das lange Überdauern der Blockfiguren bis in das 12. Jahrhundert soll  hauptsächlich sein, dass nach alter islamischer Religion das Abbilden von Menschen, überhaupt aller Lebewesen sowie Dinge nicht erlaubt ist /war.                                      

Bild 6 König

Bild 7 Läufer, König und Springer aus Knochen heimischer Tiere. Zur Unterscheidung der Parteien wurden die dunklen  Figuren über dem Feuer angeschmaucht.

In der zweiten Phase kam man in Europa von der Sphäre des islamischen Dogmas ab. Mehr und mehr gesellten sich Steine mit körperhaften Formen und  mit maskenhaften Zügen lebender Wesen dazu.                                            

Es entwickelten sich Figurensätze, die zunehmend vom christlichen und weltlichen Denken beeinflusst sind. In der Folge wurden im Ausgang des Mittelalters und Eintritt in die Neuzeit dem Anspruch einer Massenproduktion entsprochen.

Das Schachspiel erreichte, trotz Verbotes durch die Kirche aus Angst, das Volk könnte zu intelligent werden, alle Schichten der Gesellschaft. Begabte Kunstdrechsler und Elfenbein- und Holzschnitzer befassten sich mit der Herstellung der Schachfiguren, sodass sich daraus ein Handwerk entwickelte, in dem sich zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die konventionellen Figurensätze entwickelten.

 

Bild 8

 

Natürlich gab es besonders während der Zeit der Renaissance  große besonders begabte  Kunsthandwerker, die den Bedarf an hochwertigen Spielfiguren decken mussten. Besonderes Anliegen des Hochadels und der kirchlichen Amtsträger war es nun, sich in starkem Maße vom einfachen Volke abzuheben, wenn sie schon nicht verhindern konnten, dass es sich nicht weiter verdummen lässt.

Der Einsatz teuerster Materialien zur Herstellung von Schachfiguren (Gold, Edelsteine, Bernstein und Meißner Porzellan) waren das Muss eines jeden Privilegierten. Allerdings muss man sich schon eingestehen, dass jeder Figurensatz so zum Unikat (Einzelstück) wurde und noch heute sehr schön anzusehen ist (3. Entwicklungsetappe).

Heute, im zwanzigsten/einundzwanzigsten Jahrhundert, sind solcher Art Schachfiguren die absolute Ausnahme. Aber dennoch sind die Menschen bestrebt, ihre Gedanken und Kulturen weiter in die Figuren zu transferieren. So lassen sich vereinzelt noch Sätze mit buddhistischen, tierischen aber auch architektonischen Themen finden. Um den in der 3. Etappe aufgezeigten Prunk, Protz und das zur Schau stellen von Macht in der Zukunft zu unterbinden, wurde ein einheitlicher Figurensatz entwickelt. welcher erstmals 1849 durch den Weltschachverband (FIDE) empfohlen wurde.

Wir alle kennen ihn: Der Staunton-Figurensatz. Namensgeber Howard Staunton, ein bekannter englischer Schachmeister, ist nicht wirklich der Formgeber dieser Figuren. Er hat diese Figuren in einer englischen Zeitschrift empfohlen. Daraufhin verbreitete sich dieser Schachfigurensatz sehr schnell. Um falsche Kopien zu verhindern unterschrieb Staunton, in Absprache mit dem Erfinder, ein Echtheitszertifikat des Herstellers welches dem Schachsatz beim Kauf beilag. So bürgerte sich der Staunton-Figurensatz weltweit ein.

Die 4  Entwicklungsetappen der Schachfiguren, hier schematisch dargestellt

 

Neben dem englischen Staunton-Figurensatz gab es auch in den Dreißigern des vorigen Jahrhunderts ein deutsches Bemühen um die Verbreitung eines einheitlichen „nationalen“ Figurensatzes. Dies gelang mit dem sogenannten „Bundesform-Figurensatz“ nur teilweise.

Die Gangart und namentliche Entwicklung (Beispiele) der Schachfiguren von der Antike bis heute

Namen für das Schachspiel

 

Indien:                 Tschaturanga

Persien:               Shatrang; Tschatrang, später oder gleichzeitig in anderen Regionen des Riesenlandes Schatrandsch

Arabien:              Schatrandsch,

Spanien:              Axedrez

Rom:                   latrunculi (nicht gesichert)

Deutschland:      Schachzabel, später Schach

russisch:              Schachmatöi

 

Turm:

 

Indien:                ratha (wagen), auch ushtra (Kamel, Dromedar – verschwand beim Übergang zum persichen Schach) und                                        nauka

Persien:              ratha wurde zu rukh (Held), Rochen

Spanien:             Roque

Deutschland:      Roch, später Turm

Russland:           Ladja (Boot), so heißt es noch heute

England:            rook

 

Dame

Persien:              Wesir

russisch:             Fers (Feldherr)

 Als Wesir – höchster Würdenträger (Minister) der alten islamischen Staatsordnung – bis in das späte Mittelalter stark verlangsamt (einschrittig in der Diagonale) und an seinen König gebunden, erlebte diese Figur nicht nur eine regelrechte Geschlechtsumwandlung sondern wurde vom anhänglichen königlichen Berater zum überhaupt dynamischsten Spielstein. Und wenn heute allerorten der Feminismus um sich schlägt, so wird es wohl selbst Alice Schwarzer nicht gelingen, die Männlichkeit dieses Spielsteins zu leugnen.

 

Läufer

Indien:                hasti (Elefant) zieht zwei Felder schräg und durfte wohl wie auch das Dromedar (siehe Turm) sogar über Figuren springen

Persien                pil

Arabien               (al)fil

Deutschland       Läufer

England              Bishop

Frankreich          fou (Narr)

russisch:             Slon (Elefant)

Italien:                Al fiere (Fähnrich)

tschechisch:        Strlec

Im 15. Jahrhundert vom kurzschrittigen  zum überaus gewandten langschrittigen und mit seinem Zwilling zusammen zum gefürchteten Offizierspärchen. In Persien und im indischen Arabien, so glauben einige Forscher, stellte der heutige Läufer einen Elefanten mit Stoßzahnträger dar.

 

Springer

 Einzige Figur die sämtliche Neuerungen und Reformen des Schachspiels seit dem indischen Tschaturanga überstanden hat.

England:              Knight (Ritter)

romanisch:          Cavalier

Wusstest du, dass das Matt früher nicht die einzige Sieg-Möglichkeit war? 

Es gab nämlich noch den Beraubungssieg (wenn dem König alle Krieger und Feldherren geraubt wurden und er allein da steht) und den Pattsieg.

 

 

 

 

Bild 1 bis 3; Gerhard Josten; Die Steine der Weisen; Beyer Edition

Bild 4; Staatliche Museen Berlin / Ägyptisches Museum

Bild 6 –8; Künstlerische Schachfiguren aus zehn Jahrhunderten; Insel-Bücherei

Bild 5 Privat